Ältere Geschichte

aus: „Heimatland“, Beilage der Siegener Zeitung erschienen 1935

Beiträge zur älteren Geschichte der Dörfer Ruckersfeld und Oechelhausen

Von Oberstudienrat Hermann Böttger, Weidenau (jetzt Siegen)

Unberührt vom großen Verkehr, manchem Siegerländer nur dem Namen nach bekannt, liegen im oberen Dreisbachtal die beiden kleinen Orte Ruckersfeld und Oechelhausen. Dieser Abseitslage verdanken die Bewohner den Spitznamen „de Schdrücher“, wie Reuter in der Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Siegen angibt. Und doch würden wir den beiden Dörfern Unrecht tun, wenn wir sie wegen Ihres Beinamens etwa als „Hinterwäldler“ bezeichnen würden. Eine Anzahl stattlicher hochgiebliger Bauernhäuser schmückt das enge Wiesental und zeigt, dass hier noch altsiegerländer Bauerntum zu Hause ist. Kaum wieder findet sich in Siegerland auf so kleinem Raum eine solch beträchtliche Zahl von Erbhöfen, drei in Ruckersfeld und fünf in Oechelhausen. Wenn man einen Blick wirft in das älteste Einwohnerverzeichnis der Gemeinde Oechelhausen, das aus dem Jahre 1461 stammt, so findet man dort 6 Steuerzahler angegeben, die anscheinend in 5 Häusern wohnen, und man könnte fast annehmen, dass wir hier schon die heutigen 5 Erbhöfe vor uns haben. Wie durch Jung-Stilling, dessen Urgroßmutter, Maria Stötzel, um 1646 in Oechelhausen geboren wurde, der Name seines bescheidenen Geburtsdöfchens Grund weithin bekannt geworden ist, so kann man ähnliches auch von Oechelhausen sagen; leitet doch der als Wirtschaftspolitiker und Shakespeareforscher bekannte, 1820 in Siegen geborene Wilhelm Oechelhäuser, seinen Familiennamen dort her; nicht geringeren Ruf genießt in technischen Kreisen sein Sohn Wilhelm, der die erste deutsche Großkraftmaschine mit Benutzung der Hochofengase als Treibmittel erbaut hat. Auch Schmick erzählt in seinem „Riimcher uß dem Seejerland“ von der Bedeutung des Orts:

  • „Du war’n Mah zu Echelhuse, dä konn d’t Bloot stelln onngesähn, dä loarte Honn wee Katze muse onn looß de Sonn schinn oarrer rähn“
    [frei übersetzt etwa: Es gab einen Mann in Oechelhausen, der ungesehen Blut stillen konnte, Hunden und Katzen das Mausen lehrte und entweder lies er die Sonne scheinen oder er lies es regnen]

Im engen Rahmen der älteren siegerländer Geschichte betrachtet, ist auch Ruckersfeld nicht ohne Bedeutung, erscheint es doch bereits in der frühesten schriftlichen Urkunde des Landes, die zwischen 1079 und 1089 ausgestellt ist. Damals schenkten zwei Brüder Heribert und Gerung dem Kloster Deutz am Rhein Güter in Holzklau, Heiminghausen (ein ausgegangenes Dorf in der Nähe der alten Gruben Heinrichssegen und Altenberg bei Littfeld), Müsen, Ruckershagen, Klafeld, Holdinghausen und Siegen (Siegener Urkundenbuch I, S. 6). Der Herausgeber des Siegener Urkundenbuches vermutet allerdings bezüglich Ruckershagen einen Lesefehler und möchte dafür Plittershagen setzen. Doch sprechen mehrere Gründe für die Gleichsetzung von Ruckershagen mit Ruckersfeld. Einmal ist in der Aufzählung der Ortsnamen ganz deutlich die geographische Reihenfolge eingehalten; es wäre auffällig, wenn die Urkunde bei der nennung der Namen plötzlich von Nordosten des Landes (Müsen) nach dem äußersten Westen (Plittershagen) hinüberspränge, um dann in die Mitte des Landes (Klafeld) zurückzukehren. Ein Wechsel in dem Grundwort (hagen  feld) ist dagegen schon wahrscheinlicher und findet sich in älterer Zeit häufig, als es eine amtliche Festlegung der Ortsnamen noch nicht gab und die Namen noch nicht erstarrt waren. Es findet sich oft da, wo eine ungefähre Gleichwertigkeit in der Bedeutung der Grundwörter vorlag, und das ist hier der Fall. Das Grundwort „hagen“ bedeutet in Ortsnamen ein aus dem Wald zu Siedlungsflächen ausgeschnittenes, abgegrenztes, eingehegtes Gelände. Bei den „hagen“-Orten scheint es sich oft um herrenloses oder jedenfalls ungenütztes Waldgelände an der Grenze gehandelt zu haben; so liegen denn auch die „hagen“-Orte des Siegerlandes und seiner Nachbargebiete meist an der Grenze, im ursprünglichen Grenzwald; man denke an Plittershagen, Friesenhagen, Römershagen, Hainchen, welch letzteres der kleine Hagen bedeutet, da Hagen gleich Hain ist. Wenn sich im Lauf der zeit die wirtschaftlichen Verhältnisse änderten, d.h., wenn wie hier der ursprüngliche, durch das Wort „Hagen“ angedeutete Waldcharakter verschwand, so wandelten sich auch oft die Grundwörter Hagen, Hain, und es traten an ihre Stelle Grundwörter, die sich entweder den Grundwörtern der benachbarten Orte anpassten oder den geänderten Charakter des Geländes bezeichneten. So tritt vielfach da, wo die „heim“-Orte häufig sind, an Stelle von „hagen“, „hain“ das ähnlich klingende Wort „heim“. Auch Blittersche, die mundartliche Form von Plittershagen, lässt kaum mehr das alte Wort „hagen“ erkennen; hier hat sich die mundartliche Form des Grundworts angeglichen an die Bezeichnung hoarsche für Haarhausen. Auch sonst bietet gerade das Siegerland noch beispiele für die Umwandlung des Grundwortes. Die ursprünglichen Grundwörter „affa“, „effe“ (=Bach) haben sich z.B. in zwei Ortsnamen unter dem Einfluss eines vorhergehenden „tr“ in „dorf“ verwandelt, Alsdorf, früher Astreffe, Ferndorf, früher Verentreffe; dasselbe Grundwort erscheint in einem anderen Ortsnamen heute als „feld“, Littfeld; die zu affa, effe, gehörenden und mit ihnen gleichbedeutenden Endungen „pe“, „be“ haben sich vielfach in „bach“ umgewandelt, Dreisbach statt Dreisbe, Fischbach statt Fischbe usw. Neben der hochdeutschen Bezeichnung Flammersbach lebt im Volksmund noch die ältere Form Flomerschdorf weiter.

Nachdem die Siedlung Ruckershagen gegründet und das mit „hagen“ bezeichnete Gelände urbar, d.h. waldfrei gemacht war, war ein Übergang zu „feld“ leicht möglich, da dieses Wort ein ursprünglich waldfreies oder zu Siedlungszwecken waldfrei gemachtes Gebiet bezeichnete. Feld hatte damals also nicht die heutige Bedeutung von Acker, wie sich auch aus der weiter unten erwähnten Urkunde von 1479 und vielen anderen ergibt, wo noch ein Unterschied zwischen den heute gleichwertigen Wörtern gemacht wird und „Feld“ in deutlichem Gegensatz zu „Wald“ (Holz) steht. So erklärt sich zwanglos der Übergang von Ruckershagen zu Ruckersfeld.

Hier zeigt sich wieder, wie so oft, dass der wichtigste Teil der Ortsnamen in dem ersten Teil, in dem Bestimmungswort, lag. Ruckershagen bzw. Ruckersfeld war die Siedlung des Ruotger (heute Rüdiger) und unterschied sich durch diesen Personennamen von den übrigen, mit anderen Personennamen gebildeten Ortsnamen. Der Personenname war also in erster Linie ausschlaggebend für die Bennennung der Siedlung. 1048 findet sich der Personenname in der Herborner Mark urkundlich belegt (Sieg. Urkundenbuch I S. 3); er erscheint auch mehrfach in Ortsnamen der angrenzenden Gebiete, so auch in dem wittgensteiner Rückershausen.

Frühzeitig ist schon Besitz des Klosters Keppel in Ruckersfeld nachzuweisen. 1397 verkaufen Henne von Ruckersfeld und seine Frau Ela an die Gräfin Margaretha von nassau „eine halbe Hube“ ihres Besitzes in Ruckersfeld „an Wald, Feld, Wiesen und Acker“. Die Gräfin schenkt das Gut dem Kloster Keppel zur Unterhaltung eines ewigen Lichts vor dem Sakrament und zu einem Jahresgedächtnis für Christine von Bicken. (S. U. II Nr. 66/68). Im nächsten Jahrhundert erwirbt das Kloster weitere Rechte. 1479 erhalten Hermann von Brücher und seine Frau Lysa sowie Hennrich der Kemmer und seine Frau Gertrud vom Kloster Keppel ein Darlehn von 15 rheinischen Gulden und verpflichten sich, aus ihrem Besitz in der Mark zu Ruckersfeld jährlich einen Gulden Rente (Zins) zu zahlen. (S. U. II S. 322) Auch der siegerländer Adel hat mehrere Jahrhunderte lang Gerechtsame in Ruckersfeld gehabt. Nach dem Mann- und Güterbuch der Herren von Bicken von 1344 steht dieser Familie ein Viertel des großen Zehnten in Ruckersfeld zu. 1431 gehörte ihnen der halbe Zehnt; ein Viertel davon geht im selben Jahr an die Herren von Burgholdinghausen über, und 1461 das andere Viertel an die herren von Selbach gt. Lohe. 1604  verpfändet Johann Friedrich von Bicken an den Siegener Bürger Johannes Sohler u.a. seine dortigen Rechte, die aber 1702 wieder in den Händen der Herren von Bicken sind. Vielleicht erinnert der Flurname Rittersberg an diese adligen Gerechtsame. Nach dem Aussterben der genannten Adelsfamilien im 18. Jahrhundert werden diese Rechte an den Landesherrn übergegangen und später abgelöst worden sein. (Achenbach, Siegerlands Vergangenheit, II, S. 163.)

Eine Vorstellung von der absoluten und relativen Größe des Ortes und seiner Steuerkraft am Ende des Mittelalters gibt das Schatzungsregister von 1461 (S. U. II, S. 208). Danach zählte Ruckersfeld damals 6 Haushaltungen, von denen 5 steuerpflichtig waren; eine Witwe, die ausdrücklich als arm bezeichnet wird, ist steuerfrei. Der höchstbesteuerte entrichtet 5 Gulden, die Niedrigstbesteuerte 8 Turnosen, anscheinend Gulden. Die Gesamtsumme betrug 11 Gulden, 8 Turnosen, so dass sich eine durchschnittliche Steuerbelastung von rund 2 Gulden für jede Haushaltung ergibt. Danach gehört der Ort zu den kleinsten Dörfern des Landes und zu den am wenigsten steuerkräftigen. Zum Vergleich seien einige andere Orte genannt:

 

Zahl der Haus-
haltungen

Durchschnitts-
steuerleistung
jeder Haushaltung

 

 

Zahl der Haus-
haltungen

Durchschnitts-
steuerleistung
jeder Haushaltung

 

Afholderbach

12

2

Gulden

Helberhausen

13

2

Gulden

Anzhausen

21

2

Herzhausen

10

3½

Beienbach

12

2

Hilchenbach

42

2

Bockenbach

12

2

Krombach

23

2

Brauersdorf

9

2½

Nauholz

7

3

Deuz

14

2½

Nenkersdorf

17

2

Dreisbach

20

2

Niedernetphen

21

3

Eckmannshausen

8

3½

Obernetphen

6

4

Ernsdorf

17

2

Obernau

6

3

Eschenbach

11

2

Oelgershausen

3

4

Ferndorf

17

2

Setzen

12

3¾

Flammersbach

10

3

Unglinghausen

10

2

Frohnhausen

6

4

Walpersdorf

21

3

Grissenbach

13

3

 

 

 

 

Auch die Namen der Steuerpflichtigen werden erwähnt; doch eignen sich die Namenangaben nicht oder nur in sehr beschränktem Maße zu familiengeschichtlichen Untersuchungen, da die Familiennamen um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch nicht allgemein üblich waren. Es werden damals in Ruckersfeld folgende Personen genannt:

  • Ewerts eyden, also der Eidam des Ewert; letzterer wird auch 1440 erwähnt. (S.U. II S. 125, 146);
  • Hans von Obernau;
  • Heiderich, Herman sin eydem; 1440 ist ein Heidenrich von Ruckersfeld Schöffe des Gerichts Netphen (S. U. II, S. 125.);
  • Hentze Hanen Dochter, also die Tochter des Hentze Han(en), der 1440 ebenfalls als Schöffe des Gerichts Netphen erscheint (S. U. II, S. 125);
  • die Schefersche, vermutlich die Frau oder Witwe des Schäfers;
  • Heynen wieff vor dem Diche, also die Witwe des Heyn, die vor dem Damm oder Teich wohnt.

Bei Nr. 4 liegt vielleicht schon der Familienname Han, Hahn vor, wie auch in der oben genannten Keppelschen Urkunde von 1479 der Familienname Brücher erscheint.

Ursprünglich hat Ruckersfeld zum Amt, Gericht und Kirchspiel Netphen gehört. Infolge der Teilung der Grafschaft Nassau-Siegen nach konfessionellen Gesichtspunkten wurden 1623 die Dörfer Oechelhausen und Ruckersfeld von Netphen abgetrennt und dem Kirchspiel Hilchenbach zugewiesen, dessen Landesherr der protestantische Graf Wilhelm war. So blieb Ruckersfeld von den Wirren der Gegenreformation verschont. Dafür stellte sich bald eine andere schreckliche Begleiterscheinung des in Deutschland tobenden Dreißigjährigen Krieges ein, die Pest, die auch nach dem abgelegenen Ort übergriff. Besonders groß war, wie Hilchenbacher Kirchenbücher zeigen, das Elend in den Jahren 1634 bis 1636. So werden in der letzten Juliwoche 1634 vier Pesttodesopfer verzeichnet, und im Totenbuch von 1635 heißt es: „Den 30. August vier Personen aus Gobeln Haus in Ruckersfeld begraben“ (Menn, das Kirchspiel Hilchenbach, Zeitschrift Siegerland, 4. Bd. 1919, S. 39.)

Die ältesten überlieferten Formen des heutigen Namens Oechelhausen sind Huchilnhusen 1265, Huchelnhusen 1279, Huchelhusen 1344; 1426 ist die Schreibweise Oechelhausen 1440 und 1461 Uchelhusen. (S. U. I, S. 26, 32, II, S. 126, 208, Bickensches Mann- und Güterbuch.) Die volkstümliche Ableitung des Namens von Eichel oder gar von mundartlich Öjjel (Eule) ist angesichts dieser urkundlichen Belege und außerdem aus sprachlichen Gründen ganz ausgeschlossen. Der Name geht zurück auf den früher oft vorkommenden Personennamen Uchilo, Uhilo Ochilo, neben dem auch Huchilo belegt ist. So haben wir denn auch in manchen von diesen Personennamen abgeleiteten Ortsnamen ein Schwanken zwischen den Formen mit und ohne H. Neben Huchilingen steht Uchilingen, Huchelheim neben Uchelheim; Hugoldeshusen (belegt 1089) ist das heutige Oggelshausen (am Federnsee, Süddeutschland) usw. (Förstemann, altdeutsches Namenbuch I, 1484/5.) Ein Mann namens Uchilo, Huchilo darf also als Begründer oder erster Bewohner der Siedlung angesehen werden.  Diese Namensgebung schließt sich dann der Benennung der benachbarten hausen-Orte im Waldgelände nördlich von Netphen an, wo wir in Ölgershausen, Eckmannshausen, Herzhausen ganz entsprechende Zusammensetzungen mit Personennamen haben. Diese Häufung von hausen-Ortsnamen in einem kleinen Gebiet in der Nähe älterer, günstiger gelegener Orte wie Netphen und Dreisbach, und zwar meist an Bächen, die bei diesen alten Orten in das Haupttal münden, findet sich öfters und kann ein Fingerzeig sein für die Altersbestimmung. Zunächst zeigt sich diese Erscheinung noch einmal im Siegerland, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt wie im Dreisbachtal; man vergleiche die Lage von Anzhausen, und des ausgegangenen Ortes Wampelshausen bei Rudersdorf mit der alten Siedlung Dielfen. Dieselben Verhältnisse finden sich im hessischen Hinterland und in Wittgenstein. In diesem letzteren Gebiet liegt in den Seitentälern, die bei den alten Orten Banfe, Laasphe, Feudingen auslaufen, eine Fülle solcher mit Personennamen gebildeter hausen-Orte, Herbertshausen, Bermershausen, Rüppershausen, Rückershausen, Amtshausen. Alle diese Orte sind Ausbausiedlungen, die in einem bestimmten Zeitabschnitt ungefähr gleichzeitig infolge der zunehmenden Bevölkerungszahl von den ältesten, am Haupttal gelegenen Orten aus angelegt worden sind. Die Ähnlichkeit zwischen der siegerländer Gruppe und der wittgensteinschen wird noch auffallender dadurch, dass sich zweimal dieselben Bestimmungswörter wiederholen; dem siegerländer Anzhausen entspricht das wittgensteiner Amtshausen, dem siegerländer Ruckersfeld (das wegen seiner geographischen Lage zu der größeren siegerländer hausen-Gruppe gehört) das wittgensteiner Rückershausen. Es liegt nahe, eine gegenseitige Beeinflussung und einen zeitlichen Zusammenhang bezüglich der Gründung anzunehmen. Jedenfalls müssen alle genannten hausen-Orte als frühe Rodungssiedlungen in verhältnismäßig günstiger Lage angesehen werden, Die oben gemachten Ausführungen über das Grundwort in Ruckershagen bzw. Ruckersfeld deuteten ja schon auf Siedlung im Waldgelände hin. Die anderen Rodungsorte, namentlich die mit „hagen“ und „rot“ gebildeten, liegen viel ungünstiger und sind deshalb als jünger zu bezeichnen(Plittershagen, Hainchen, Rödgen, Hohneroth). Möglicherweise ist Ruckersfeld (bzw. Ruckershagen) die jüngste Siedlung im Siegerländer hausen-Gebiet.

1265 überträgt Gertrud, die Frau des Ritters Hermann von Wilnsdorf, Güter in Oechelhausen, die aus ihrer väterlichen Erbschaft stammen, an das Nonnenkloster Altenberg bei Wetzlar. (S. U. !, S. 26.) Den Namen von Gertruds Vater kennen wir nicht; da jedoch anzunehmen ist, dass er ebenfalls dem siegerländer Adel angehört hat, haben wir hier den ersten Hinweis auf Adelsbesitz in Oechelhausen. Wie in Ruckersfeld und in sehr vielen anderen Orten des Siegerlandes haben auch hier die Herren von Bicken das Zehntrecht besessen; es wird im Bickenschen Mann- und Güterbuch von 1344 erwähnt und lässt sich durch die nächsten Jahrhunderte weiter verfolgen. 1448 erhält Heiderich von Oechelhausen ein Viertel des Bickenschen Zehnten ; 1566 wird von Streitigkeiten wegen dieses Zehnten berichtet; 1665 ist der halbe Bickensche Zehnte im Besitz von Oechelhäuser Einwohnern; die andere Hälfte besteht aus einer Abgabe von 3 Malter Korn, 3 Malter Hafer und Heugeld im Werte von 8 Albus 1673 beläuft sie sich auf 1 Malter, 8 Meste Korn, 2 Malter 4 Meste Hafer, eine gewisse, nicht näher bezeichnete Menge Heidloff (Buchweizen) und Heugeld in Höhe von 18 Albus (Achenbach, Siegerlands Vergangenheit II S. 168, 233).1426 wird zum erstenmal Besitz des Klosters Keppel erwähnt. Hennichin Koch von Eschenbach und seine Frau Else schenken dem Kloster ihr in Oechelhausen gelegenes Eigentum. (S. U. II, S. 126.) 1440 wird dieses sogenannte Eschenbacher Gut an 5 Bewohner von Frohnhausen, Eschenbach, Walpersdorf, Eckmannshausen und 3 von Ruckersfeld für 8 Schilling jährliche Pacht auf 8 Jahre verliehen. (S. U. II, S. 146.) Es scheint also eine erheblich „Überfremdung“ des Oechelhauser Gundbesitzes eingetreten zu sein. Ob die Flurbezeichnung Nonnenwiese schon auf den Besitz des Altenberger Nonnenklosters zurückgeht oder ihren Ursprung in diesem Keppelschen Gut hat, vermag ich nicht zu sagen.

Das oben schon erwähnte Steuerverzeichnis von 1461 gibt für Oechelhausen 6 Steuerzahler an; da unter diesen eine Witwe und ihr Sohn erscheinen, ist es möglich, dass nur 5 Häuser vorhanden waren. Der Gesamtsteuerertrag ist 6½ Gulden und 6 Turnosen; er liegt also beträchtlich unter dem oben errechneten siegerländer Durchschnitt, ist auch nur etwa halb so groß wie der von Ruckersfeld. Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass das in Keppelschen Besitz befindliche und deshalb steuerfreie Eschenbacher Gut eine erhebliche Ausdehnung hatte, was auch aus der erwähnten Übertragung an 8 Pächter hervorgeht. Die 6 steuerpflichtigen „Haushaltungsvorstände“ sind:

    • Hupeln wieff, d.h. die Witwe des Hupel
    • Tiel ir son
    • Gerhartz Kinder
    • Hermann Bruchers wieff
    • Hentze Hanen wieff
    • Welter

Es ist auffallend, dass unter den 6 Steuerzahlern nur 2 Männer sind. Hentze Hanen wieff dürfte die Witwe des Ruckersfelder Heintze Hanen sein, der als Mitpächter des Eschenbacher Gutes 1440 erwähnt wird, während beider schon genannte Tochter in Ruckersfeld wohnt.

Mit einiger Sicherheit lassen sich also ebenso wie im Nachbarort die beiden Familiennamen Hane (Hahn) und Brücher feststellen.

Eine der beklagenswertesten Erscheinungen des Aberglaubens und der Rechtssprechung des Mittelalters wird auch in Oechelhausen verzeichnet. 1520 wird Mechthelt von Oechelhausen zusammen mit zwei Frauen aus Grund und Haarhausen vom Henker „peinlich gefragt“, d.h. gefoltert und dann auf der Richtstätte auf dem Ginsberg verbrannt. Der „Meister“ erhält dafür den nicht geringen Betrag von 20 Gulden 8 Albus. (Achenbach, Siegerlands Vergangenheit I, S. 384.)

In der Folgezeit ist Oechelhausen gemeinsam mit seinem Nachbarort zu dem evangelischen Landesteil und dem Amt und Kirchspiel Hilchenbach geschlagen worden. Die schon aus dem Steuerregister von 1461 nachweisbare wirtschaftliche Schwäche Oechelhausens, verglichen mit Ruckersfeld, scheint noch lange angedauert zu haben. Auf Grund des genannten Verzeichnisses kann man für beide Dörfer ungefähr dieselbe Einwohnerzahl annehmen, und zwar etwa 40, wenn die gewöhnliche Annahme, dass die Durchschnittsfamilienstärke jener Zeit etwa 6,5 Personen betrug, richtig ist. Während nun die Einwohnerzahl von Ruckersfeld im Jahre 1818 sich auf 124 belief war die entsprechende Zahl in Oechelhausen nur 58. In den nächsten Jahrzehnten änderte sich die Zahl zugunsten von Oechelhausen , vermutlich deswegen, weil der ausgedehnte Keppelsche Besitz, das alte Keppelsche Gut, zum größten Teil in die Hände der Ortsbewohner überging und damit zur kleinbäuerlichen Besiedlung frei wurde. 1855 hatte Oechelhausen mit 134 Einwohnern die Nachbargemeinde mit 108 Bewohnern bereits überholt. Von da ab erfolgte eine langsame Verminderung der Bewohnerzahl, eine Erscheinung, die ja bei so vielen abgelegenen Dörfern des Siegerlandes festzustellen ist und ihre Hauptursache in der Anziehungskraft der Industrie der Haupttäler hat. Eine Übersicht der Zahlen gibt folgendes Bild:

                            1818     1839      1855     1864      1875     1885      1895     1900

Ruckersfeld          124       120       108       106       105       102         77         79

Oechelhausen         58          87       134       123       106          94          96        92

(Dißmann, Siedlungen und Volksdichte in Siegerland, S. 1009)

Von sprachwissenschaftlichen Standpunkt ist die Mundart der beiden Dörfer interessant. Im Allgemeinen weist sie die Eigentümlichkeiten des nordsiegerländer Dialekts, also des oberen Ferndorf- , des Littfe- und Heestals, auf. Ich beziehe mich hierbei auf die Feststellungen von Hermann Reuter in seinen „Beiträgen zur Lautlehre der siegerländer Mundart“, Halle 1903. Es besteht danach eine Mundartengrenze zwischen dem oberen und unteren Dreisbachtal, Oechelhausen-Ruckersfeld einerseits und Herzhausen, Eckmannshausen usw. andererseits. Der gemeinsiegerländer Aussprache nn für hochdeutsches nd  steht im Norden die Aussprache ng gegenüber.

Gemeinsiegerländer:Kenner (Kinder), Honn (Hund)  fenne (finden),  fonne (gefunden).

Nordsiegerländer:    Kenger  Höng/Hüng finge   funge

Das auslautende n in Wörtern wie hochdeutsch Wein, neun, usw. ist im Norden und im Westen (Birlenbach- und Alchetal) ausgefallen, in der Mitte und im Osten erscheint es als ng also wi, ni, Ha, nü gegenüber wing, nung, nöng. Der Norden bewahrt die alte Vokallänge in vielen Fällen, z.B. Lim (Leim), Dume (Daumen, Schum (Scheum), während die gemeinsiegerländer Aussprache den Vokal kürzt also Limm, Dumme, Schumm hat. Die hochdeutsche Silbe ge- lautet in der gemeinsiegerländer Mundart ebenso, im Norden dagegen je, - also jeweß (Gewiß), jesät (gesagt).

Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass die Mundart von Oechelhausen und Ruckersfeld grundsätzlich in den nordsiegerländer Sprachraum eingegliedert ist. In einigen Fällen aber schließen sich die beiden Dörfer zusammen mit Grund und Lützel sowohl von der Mundart des nördlichen Siegerlandes, wie auch von der des westlich und südlich angrenzenden Netpher Landes ab. Als Beispiel diene die Aussprache von Hochdeutsch klein, rein. Im Gebiet von Hilchenbach, Ferndorf, Netphen sagt man gleng, reng, in den vier Dörfern dagegen gläh, räh mit einem ganz schwachen dumpfen e-Nachklang. Diese Aussprache erklärt sich durch wittgensteiner Einfluss; auch in Erndtebrück sagt man gläh. (Weiershausen, die Zusammenhänge der siegerländer Mundart mit ihren hessischen Nachbardialekten. Zeitschrift Siegerland, II. Bd. 1929, S. 119). Auch sonst sind nach Weiershausen Zusammenhänge zwischen dem nordwittgensteiner und nordsiegerländer Dialekt (einschließlich Oechelhausen und Ruckersfeld) festzustellen. Der bedeutsame Strang von Dialektgrenzen, welcher südlich unserer beiden Dörfer von Westen nach Osten läuft und die nordsiegerländer und gemeinsiegerländer Mundart trennt, setzt sich zum Teil im Kreise Wittgenstein fort und scheidet heute das wittgensteinische Edergebiet vom Lahngebiet. Das deutet darauf hin, dass die nördlichen Gebiete beider kreise Restbestände einer ursprünglich größeren Spracheinheit darstellen. Aus der allgemeinen Entwicklung der mitteldeutschen Mundarten, die unter einem von Südosten und Süden kommenden sprachlichen Druck erfolgt ist, wie ich für das Siegerland im 9. Jahrgang dieser Zeitschrift gezeigt habe, darf man schließen, dass diese Spracheinheit früher weiter nach Süden gereicht und das südlich von Oechelhausen-Ruckersfeld angrenzende Gebiet von Netphen und im Kreise Wittgenstein das obere Lahntal umfasst hat. Eine solche Spracheinheit ist immer die natürliche Folge und der Ausdruck eines politisch, kirchlichen und rechtlichen Einheitsraumes. Dass ein solcher tatsächlich  bestanden hat, dafür sprechen auch geschichtliche Tatsachen. Ich nenne hier nur den von mir schon oft in dieser Verbindung erwähnte kirchliche Zusammenhang im Mittelalter zwischen Netphen und dem oberen Edergebiet und den alten Streubesitz siegerländer Adelsgeschlechter in Wittgenstein. Die diese gebiete bedeckenden Wallburgen beweisen das Vorhandensein des Einheitsraumes schon für die frühgeschichtliche Zeit.

So lässt sich auch die vielfache Übereinstimmung in den Ortsnamengebungen diesseits und jenseits der siegerländisch-wittgensteinschen Grenze erklären. Der Zusammenhang bezüglich der hausen-Orte ist schon oben erwähnt worden. Neben der dort angeführten Gleichheit einzelner erster bestandteile in Ortsnamen (Anzhausen – Amtshausen, Ruckersfeld – Rückershausen) sei noch hingewiesen auf siegerländer Wampelshausen (ausgegangenes Dorf bei Rudersdorf) und wittgensteiner Wemlinghausen (älter Wamboldenhusen), sowie Irmgarteichen und Erndtebrück (früher Irmgartenbrück). Dieser alte Zusammenhang zwischen Siegerland und Wittgenstein ist infolge der Entwicklung zu zwei selbständigen  politischen Gebilden im Mittelalter allmählich gelöst worden. Wenn ich trotzdem heute noch sprachliche Übereinstimmung und Ähnlichkeit zwischen Oechelhausen – Ruckersfeld einerseits und dem angrenzenden wittgensteiner Gebiet andererseits nachweisen lassen, so ist das ein bewweis dafür, dass enge persönliche und wirtschaftliche Zusammenhänge (Heirat, Verkehr, usw.) bis ins 19, Jahrhundert hinein angedauert haben und dass die Beziehungen unserer beiden Dörfer zu dem übrigen Siegerland nicht so stark und ausschließlich gewesen sind, dass sie völlig in den siegerländer Sprach- und Kulturraum eingegliedert werden konnten. Erweisen sich somit die beiden Dörfer als sprachliche Erhaltergebiete, so ist auch anzunehmen, dass sich hier auch im Brauchtum ältere Erscheinungen bewahrt worden sind. Vielleicht lohnt es sich, ihnen einmal  nachzugehen.

Seit langem bemüht sich der Verein für Heimatkunde, Anregungen für die Abfassung von Ortsgeschichten zu geben, die nicht nur nackte geschichtliche Tatsachen enthalten sollen, sondern auch altes volkskundliches und familiengeschichtliches Material bringen müssten. Hier und da ist diese Anregung bereits auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Kreiskulturwart und der Kreisringführer des Deutschen Bundes Heimatschutz fordern neuerdings dasselbe. Solche Ortsgeschichten, geschrieben von jemand, der mit den dörflichen Verhältnissen aufs genaueste vertraut ist, sind heute Notwendigkeit. Hoffentlich gibt dieser Aufsatz dem vielleicht noch weitere über andere siegerländer Dörfer folgen werden, einen neuen Anstoß zur Erreichung des erstrebenswerten Zieles.